Bilder kommen und gehen.

Bilder springen uns an, verführen oder begeistern.

Wie wäre es, wenn wir die Bilder einladen, sich eine Weile bei uns aufzuhalten?
Was müssten wir ihnen bieten, dass sie sich bei uns wohl fühlen?

Der Künstler Wolfgang Neisser denkt gerade darüber nach. Heute sind wir dazu geneigt, uns vor der Bilderflut zu retten, also keine feierliche Einladung, kein Fest mit und um die Bilder. Wir fühlen uns am wohlsten, wenn wir die Gäste kennen, die Tischordnung sich nicht ändert und auch das Fest so verläuft, wie wir es immer schon gemacht haben

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Doch Neisser ist ein anderer Gastgeber. Seine „Bildtafeln“ wiederholen nicht die üblichen Ordnungen, er experimentiert mit neuen Bildraumkonstellationen und erprobt andere Positions- und Perspektivenwechsel. Doch bevor der Künstler zum „Gastmahl“ bittet, gibt es eine Phase des Unterwegsseins, des Flanierens und Sammelns. Neisser ist immer an seiner etwas anderen Gangart zu erkennen, auf der Suche nach dem Flüchtigen, dem So-noch- nicht-gesehenen. Seine Kamera benutzt er nicht wie ein Auge, sondern eher wie ein Netz. Es verfangen sich darin Bilder, die eher aus den Augenwinkel geschossen werden und nicht unbedingt immer dem „aufrechten Gang“ verpflichtet sind.

Das Fest der Bilder beginnt, wenn Neisser aus den vielen „ZuTaten“, dem Gesammelten und Gespeicherten ein Menü zusammenstellt. Der Computer ist das Medium, doch was zählt ist Neissers Erfahrung in den Dingen des Geschmacks. Phänomene der Werbung werden gemischt mit Bildfindungen der traditionellen Kunst, Abstraktes mit Konkretem, Schrift und Bild. Neissers Bildmenüs zeugen von einer Liebe zur Welt und einer Freiheit im Umgang mit dem, was uns diese Welt schenkt.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass wir uns bei Neissers Gastmahlkunst an eines der ersten Gastmähler unserer westlichen Kultur erinnert fühlen, welches in der Literatur und Philosophie Karriere gemacht hat. In Platons „Gastmahl“ führen Vertreter der unterschiedlichen sozialen Ebenen einen anregenden Dialog über das, was Menschen im Leben anziehen und faszinieren kann. Jeder erzählt seine Geschichte und es ist Sokrates, der aus all den Einzelfacetten ein Gesamtkunstwerk schafft, das wir seitdem mit dem Gedanken des Festmahles verbinden.

Eva Degenhardt, Köln

MuSehensWürdigkeiten

Wolfgang Neisser in der Kirche St. Theodor in Köln Vingst

Lassen sich mich mit einem Nachdenken über den Titel der Ausstellung beginnen: "Musehenswürdigkeiten". Dieses Kunstwort kann uns ein Stück in das Denken, Sehen und Gestalten von Wolfgang Neisser hineinführen. Wenn ich das Wort spreche, bleiben die Worte "Museen" und "Würde" im Ohr und das wäre nicht einmal so verkehrt. Die hier ausgestellten Bilder würdigen alle ein Museum oder einen Kunstort. Erinnern wir uns an das griechische Wortes: musío, es bezeichnet das Heiligtum der Musen, welche Schutzgöttinnen der Künste, Kultur und Wissenschaften waren. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich das Museum zu einer Institution, die eine Sammlung bedeutsamer und lehrreicher Gegenstände für die Öffentlichkeit aufbewahrt, ordnet, erforscht und Teile davon ausstellt. Damit wurden diese Einrichtungen zu einer Art Gedächtnis der Gesellschaft und waren und sind es immer noch ein wichtiger Ort des öffentlichen Nachdenkens und Diskutierens. Auch wenn wir hier nicht umfassend die Geschichte des Museums vom Musenberg über die Wunderkammer zum Archiv des 19.Jahrhunderts referieren können, sollte dennoch klar werden, dass diese Orte auch heute noch eine große kulturelle, wissenschaftliche und auch politisch/soziale Bedeutung haben. Museen zu würdigen, macht also durchaus Sinn.

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Doch sehen wir genauer auf das geschriebene Kunstwort "Musehenswürdigkeiten". Die farblich abgesetzte Wortkombination Sehenswürdigkeiten schiebt sich in den Vordergrund. Neben den Kunstorten, den Museen, wird es also auch um Sehenswürdigkeiten gehen. Offen bleibt vorerst, wer die Objekte für das Sehen würdig erachtet: die Wissenschaft, die Allgemeinheit? Wir geraten ins Nachdenken, wenn wir die Worte ernst nehmen und danach fragen.

Nun sind wir bereits mitten in der Art und Weise des Kunstschaffens Neissers. Seine Bilder sind gleichzeitig Denk- Fühl- und Sehräume. Unsere lineare Zeitauffassung und unser perspektivisches Raumsehen sind aufgehoben. Die Bilder inszenieren eine Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem, ein Nebeneinander des von einander Entfernten. Man könnte die von Neisser konstruierten Räume als Heterotopien bezeichnen. Dieser von Michel Foucault übernommene Begriff beschreibt Orte, die eine Art Gegenplatzierung oder Widerlager innerhalb der Gesellschaft sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, an denen die Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten, und gewendet wird.

"Das Schärfen des Sehens und das Sehen mit Schärfe sind für mich wie für den Musiker das Erkennen der Töne, um daraus ein Tonwerk komponieren zu können.", sagt der Künstler und würdigt damit nicht in erster Linie das Objekt des Sehens, sondern das Sehen selbst. Unser Sehsinn wird im menschlichen Leben viel später entwickelt, als das Hören, Tasten Riechen Schmecken. Ehe die Dinge für uns "vorHanden" sind, sind sie längst "zuHanden" gewesen wie Heidegger in seinen phänomenologischen Studien schreibt. Der Sehsinn ist der Sinn der ordnenden Distanz. Auch wenn wir etwas nah heranholen, müssen wir es immer noch mit einem gewissen Abstand betrachten, sonst können wir es nicht erkennen. Sehen und Erkennen haben viel miteinander zu tun. Bei den Griechen bedeutet das Wort "Wissen" soviel wie "gesehen haben". Umgekehrt könnte man sagen: Was man nicht weiß, sieht man auch nicht. Es geht dem Künstler um die Begeisterung für das Sehen. Alle Formen des Sehens werden erforscht und erprobt: der schnelle und der lange Blick, der konventionelle und der unkonventionelle Blick, der präzise und der flüchtige Blick. Es geht um ein dokumentarisches Sehen und um ein träumerisches Sehen, es geht um ein von Literatur und Philosophie inspiriertes Sehen und um ein wissenschaftliches Sehen. Neisser wertet nicht, er stellt neben einander, gegen über und verwebt das verschieden Gesehene schließlich miteinander. Sie werden sich nun fragen: Was kommt denn dabei heraus? Wir haben Jahrhunderte lang über den perspektivischen Blick unser Sehen und Erkennen in eine feste, realistische Ordnung gebracht und nun gerät alles wieder ins Wanken. Akzeptierte Hierarchien brechen zusammen und neue, fast chaotische Beziehungsgeflechte ergreifen Besitz vom geordneten Bildraum.

Auf den Bildern Neissers begegnet uns durchaus Bekanntes: Bilder, Architekturen, Räume, Landschaften, Worte und Texte, die wir schon einmal gesehen haben. Doch die Art und Weise wie uns der Künstler dies alles zeigt, ist ungewöhnlich und anders. Die neuen digitalen Technologien provozieren regelrecht eine neue Art des Sehens. Der Künstler antwortet darauf und schafft neue Zusammenhänge und Beziehungen innerhalb der Welt. Das Rohmaterial für seine großen Bildkonstruktionen entsteht mit einer Digitalkamera in schneller Folge vor Ort. Neissers Auge ist geschult, vieles geschieht intuitiv und routiniert. In einem zweiten, sehr zeitaufwendigen Schritt montiert der Künstler die vielen Einzelbilder am PC zu den großen Gesamtkompositionen. Was früher das Wissen über Farbzusammensetzung und Materialbeschaffenheit von Untergründen war, ist heute die Beherrschung von komplizierten digitalen Bildbearbeitungsprogrammen. Neissers Verständnis von Bildaufbau und -komposition ist geschult an der großen Tradition der Kunst und erprobt dennoch neue und ungewohnte Möglichkeiten.

Anschließend werden die am Bildschirm komponierten Bilder auf Papier ausgedruckt. Der gesamte Gestaltungsprozess läuft innerhalb der Regeln unserer modernen technischen Medien ab. Im kreativen Spiel mit diesen Regeln zeigt uns der Künstler neue Möglichkeiten des Sehens und Denkens.

Die Bilder der verschiedenen Kunstorte und Museen sind nicht mit einem flüchtigen Blick zu erfassen. Wieder und Wieder gibt es etwas Neues zu entdecken. In ihrer eher einfachen Art der Präsentation baut diese Kunst nicht auf Überwältigung des Betrachters, sondern nimmt ihn mit hinein in die kreative Sphäre des Suchens und Findens. Die Bilder feiern das Glück des Sehens und Gestaltens. Hier in der Kirche St. Theodor in Köln Vingst würde ich sogar vom göttlichen Geschenk des Sehens und Wahrnehmens sprechen.

Eva Degenhardt
philosophiekunst e.V.
Köln-Mülheim